Die vorliegende Sammlung enthält Kinder- und Volkstänze aus dem Fundus unseres folkloristischen Erbes. Es sind Tänze, die immer wieder mündlich weitergegeben und über die Jahrhunderte und Generationen stets neu "zurechtgetanzt und -gesungen" wurden. Ein Teil hat sich bis heute im Volks- und vor allem im Kindermund erhalten, einen anderen verdanken wir der Sammelleidenschaft unserer Altvorderen, die so manches archivierten, bevor es für immer aus dem Gedächtnis des Volkes verschwand. Für mich ergab sich die Beschäftigung mit Volks- und Kindertänzen aus der Tanzhaus-Euphorie zu Anfang der 80er Jahre, als wir, beflügelt durch die allenthalben grassierende unbändige Tanzlust, in der Schober der Archive krochen, um möglichst viele Tanzschmeckerchen der Vergessenheit zu entreißen. Die anfängliche Tanzanarchie wich nach 1984 einer zunehmend systematischen und ernsthaften Arbeit, zunächst mit Erwachsenen, seit 1988 in der Hauptsache mit Kindern. Kinder setzen sich gern tanzend und singend mit ihrer Umwelt auseinander. Rhythmisches Bewegen eröffnet ihnen Möglichkeiten, ihre ureigene Musikalität und Beweglichkeit zu entwickeln. Gemeinsames Tanzen und Singen fördert ihr soziales Gespür und die Kommunikation untereinander. Nicht zuletzt macht es Spaß, miteinander zu tanzen und zu singen und so Körper, Geist und Seele in Bewegung zu halten. Die Menschen haben jedoch schon vor Tausenden von Jahren nicht nur aus Spaß an der Freude getanzt; in ihren Tänzen spiegelte sich in erster Linie ihr Alltag mit seinen Nöten und Annehmlichkeiten wider: da gab es Frauen- und Männertänze, Hochzeitstänze, Tänze einzelner Gewerke, jahreszeitliche Reigen u.v.a.m. Die Kinder haben all diese Tänze stets mit- oder für sich zurechtgetanzt. Sie lernten so, am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich zu orientieren, durch Nachahmung der Erwachsenen zu lernen. Erstaunlicherweise lassen sich Kinder auch heute noch für diese alten Tänze begeistern, obwohl ihnen - namentlich über die Medien - eine gänzliche andersartige Wertewelt vermittelt wird. In Weiterbildungskursen für ErzieherInnen wurde ich oft nach Literatur und Musikbeispielen gefragt, die ihnen in ihrer eignen Arbeit mit Kindern behilflich sein könnten. Natürlich gibt es Tanzsammlungen in kaum übersehbarer zahl; die vorliegende mag sich von vielen anderen darin unterscheiden, daß sie ausschließlich nach praktischen Kriterien zusammengestellt wurde und nur Tänze und Tanzspiele enthält, die sich in meiner Arbeit mit kleinen und großen Tänzern stets aufs neue bewährt haben. Zudem gelang es, befreundete Musiker und einige meiner kleinen TänzerInnen dafür zu gewinnen, die Melodien und Tanzlieder für die beiliegende CD einzuspielen und zu singen. So wird auch dem musikalischen Laien ein Zugang zu den Stücken ermöglicht. Wer die Melodien hört, wird gewiß hier und da denken: das kenn? ich doch! - vielleicht sogar aus der eigenen Kindheit. Denn obwohl für fast alle Tänze Belege in der einschlägigen Literatur beigefügt wurden, sind uns viele mündlich überliefert worden. Daher weichen die hier wiedergegebenen Tanzweisen, Texte und Schritte oft von der Literatur ab - ein beredtes Zeugnis dafür, daß ihrer viele immer noch im Volksmund leben und bis dato der Neokultur erfolgreich zu trotzen vermochten. Bleibt mir, mich bei allen Freunden und Kollegen zu bedanken, die in irgendeiner Weise am Zustandekommen des Büchleins beteiligt waren. Für alle Kinder und jene, die sich mit Kindern beschäftigen ist unser Büchlein gedacht, aber auch für alle, die einfach nur Freude und Spaß am Tanzen, Singen und Musizieren haben. Möge es sein Publikum finden und zu geselligem Miteinander beitragen, dann sich die Arbeit aller Beteiligten gelohnt. Sigrid Doberenz Leipzig im August 1995
